„Wir brauchen eine breit angelegte Informationskampagne, um alle mitzunehmen“

Bis Januar 2025 sollen die Krankenkassen allen Versicherten, die nicht aktiv widersprechen, die elektronische Patientenakte (ePA) zur Verfügung stellen – so steht es im Referentenentwurf zum Digital-Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums. Demnach soll die ePA Daten zur Medikation, Laborbefunden, für den medizinischen Notfall und aus stationären Behandlungen enthalten. Zur Zukunft der ePA haben wir mit PD Dr. med. Sebastian Spethmann, Vorsitzender der DGIM-AG Digitale Versorgungsforschung, gesprochen.

Dr. Spethmann, seit der offiziellen Einführung 2021 will sich die elektronische Patientenakte nicht so recht durchsetzen. Was ist in Ihren Augen schiefgelaufen?

Meiner Meinung nach liegt das vor allem daran, dass die meisten Patientinnen und Patienten gar nicht wissen, dass es die elektronische Patientenakte gibt und welchen Nutzen sie für die eigene Versorgung haben könnte. Und wer sich damit auseinandersetzt, den schreckt unter Umständen der aufwändige Identifikationsprozess bei der Krankenkasse ab. Zudem gibt es auch eine geringe Akzeptanz der ePA bei der Ärzteschaft, da nur wenige Primärsysteme sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich (KIS und PVS) darauf zugreifen können. Kein Wunder also, dass sich die ePA bislang nicht durchsetzen konnte.

Nun liegt seit Kurzem der Referentenentwurf zum Digital-Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums vor, in dem die ePA eine große Rolle spielt. Inwieweit wird sich die ePA künftig von ihrer jetzigen Version unterscheiden?

Es ist geplant, dass jeder gesetzlich Versicherte Anfang 2025 automatisch eine elektronische Patientenakte von seiner gesetzlichen Krankenversicherung bekommt. Auf diese hat jede behandelnde Ärztin oder Arzt automatisch Zugriff: Die Behandelnden können die Krankengeschichte einsehen und selbst Daten und Dokumente einstellen. Die Patientinnen und Patienten haben jedoch weiterhin die Kontrolle: Sie können den Zugang auf einzelne Daten, Dokumente oder Dokumentengruppen sperren oder bestimmten Ärztinnen und Ärzten den Zugriff auf die ePA verwehren. Wer die Akte gar nicht nutzen möchte, muss der Nutzung grundsätzlich widersprechen. Dies bezeichnet man als sogenanntes Opt-Out-Prinzip.

Befürchten Sie Widerstand bei den Patientinnen und Patienten? Birgt die ePA auch Risiken, die man im Auge behalten muss?

Sollte weiterhin keine ausreichende, breit angelegte Informationskampagne erfolgen, könnte sich aufgrund des lückenhaften Wissens ein Widerstand entwickeln. Die Patienten haben weiterhin die Hoheit über ihre Daten. Wichtig ist dabei, dass die Einsicht in die Daten der eigenen ePA in der Handhabung einfach sein muss – auch für diejenigen, die keine hohe Digitalkompetenz besitzen. Wir müssen dringend darauf achten, dass keine digitale Spaltung (digital divide) entsteht, um keine Bevölkerungsgruppe vom Nutzen der ePA auszugrenzen. Und: Wer sich gegen eine ePA ausspricht, dem darf auch kein unmittelbarer Nachteil entstehen. Aus meiner Sicht ist daher auch eine Begleitung bei Umstellung der Opt-in-ePA auf eine Opt-out-ePA mit einer Versorgungsforschung notwendig. So kann relevantes Wissen generiert werden, um die ePA inklusiv weiterzuentwickeln und um Vertrauen in der Bevölkerung zu sichern, damit sich möglichst viele für ihre ePA entscheiden. 

Wie erfolgt der Zugriff auf die ePA?

Der Zugriff erfolgt über die Telematikinfrastruktur, ein sicheres, in sich geschlossenes Netz, und die Zugriffe auf die ePA werden protokolliert, um auch unberechtigte Zugriffe nachvollziehen zu können. Aber an Orten mit hoher Patientenfrequenz müssen die Daten, wie auch heute schon, vor fremden Blicken geschützt werden. Übrigens: Bei Kindern oder Menschen, die nicht selbst die Funktionalitäten der ePA anwenden können, kann eine Vertrauensperson für die Verwaltung der eigenen ePA berechtigt werden.

Die Akzeptanz bei den Ärztinnen und Ärzten ist ja bisher auch nicht groß – aus unterschiedlichen Gründen. Wie kann man die Ärzteschaft überzeugen?

Entscheidend wird die Anwendbarkeit und Integration in den jeweiligen Primärsystemen sein. Die ePA muss sich schnell und automatisch befüllen lassen, so dass der Zeitaufwand möglichst geringgehalten werden kann. Eine doppelte Dateneingabe muss verhindert werden. Wichtig wäre auch, dass sich der Mehraufwand der Erstbefüllung finanziell über eine Abrechnungsziffer abbilden lässt. Und schließlich braucht es auch eine Informationskampagne über den unmittelbaren Nutzen in der Versorgung für die Ärzteschaft, damit diese dann zum Multiplikator werden kann.

Bis zum 15. Januar 2025 haben die Krankenkassen Zeit, ihren Versicherten eine ePA zur Verfügung zu stellen. Dem Laien erscheint das sehr viel Zeit für ein Produkt, das es ja eigentlich schon gibt. Wie sehen Sie das?

Ganz im Gegenteil, ich finde die Zeitvorgabe sogar ambitioniert, da bislang noch nicht alle Details im Gesetz final festgelegt wurden. Ebenso müssen die digitalen Prozesse optimiert werden, um eine Integration und Automatisierung zu ermöglichen. Und es wird Zeit für eine breite Informationskampagne benötigt.

Die DGIM hat bereits im Januar angeregt, was zwingend in die elektronische Patientenakte aufgenommen werden sollte. Im Referentenentwurf wurde der DGIM-Vorschlag, Entlassbriefe zu stationären Behandlungen aufzunehmen, berücksichtigt. Wird sich die DGIM auch weiterhin in die Gestaltung der ePA einbringen?             

Die DGIM ist unverändert bestrebt, Impulse aus Sicht der Inneren Medizin in den Prozess einzubringen. Wir nehmen wahr, dass unser Input dabei wohlwollend Berücksichtigung findet. Wir werden als Gesprächspartner in verschiedenen Formaten weiter im Austausch u.a. auch mit der gematik bleiben. Wir wollen damit einen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung leisten und auch mithelfen, dass zukünftig medizinischen Daten zum Zweck der medizinischen (Vesorgungs-)Forschung bereitgestellt werden können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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